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The Porn Identity

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Porno ist überrall. Und die Internetdemokratie beweist es täglich: Über 26.000.000 Mal wurde das Video “Great Body, Great Sex, Great Blowjob” auf einer (vermeintlichen?) Do-It-Youself-Videoplattform schon geklickt. Aber nicht nur im Internet treibt die Pornografie ihr Spiel mit der Verführung. Die Bilder im öffentlichen Raum sprechen die gleiche pornografische Sprache wie die Kinoblockbuster, das kollektive Unbewusste der Werbung, die Pimp Videos auf MTV, die rituellen Sex-Beichten am Fernsehnachmittag oder der Mehrwert der Waren ganz Allgemein. Für Porno gibt es längst kein Außen mehr, Porno ist zur omnipräsenten visuellen Kategorie unseres Alltags angewachsen.

Weil engagierte Kunsthäuser, wie die Kunsthalle Wien, sich seit längerem als Plattform verstehen, die ihre diskursiven Möglichkeiten gern in den Dienst der Verhandlung von Alltagskultur stellen, und weil das schmuddelige Versprechen an die Affekte längst auch in der “Hochkultur” für verlässliche Aufregung sorgt (Feuchtgebiete, Shortbus, Jeff Koons), hat seit heute die Ausstellung “The Porn Identity” die Räume im Museumsquartier bezogen.

Lawrence Weiner, still aus: A bit of matter and a little bit more (1976)

Erotik und Pornografie

Porno war natürlich längst dort, nur unter anderem Namen. Das Thema des “Erotischen” in der Kunst ist wahrscheinlich älter als der Porno selbst, und statt schmutzigen Fotomagazinen dienten dem bürgerlichen Mann von Welt immer schon dicke Bildbände mit hochwertiger Malerei als Wichsvorlage. Kunst hat zwar immer erotisch sein dürfen, pornografisch aber nicht. Ein zweifelhafte Hierarchsierung, die von “The Porn Identity” jetzt aufgekündigt wird. “Geht es darum etwas durchzustreichen, was man nicht mehr durchstreichen kann, oder versuchen es zu überschreiben?” fragt Kurator Thomas Edlinger und entscheidet sich für Zweiteres. Die Schau arbeitet sich an den Ähnlichkeiten der beiden Felder ab, kennt keine Grenze und folgt Erzählungen, die sich durch beide Genres ziehen.

Thomas Edlinger und Florian Waldvogel (Kunsthalle Hamburg) haben schon 2007 in Rotterdam unter dem Titel Bodypoliticx gemeinsam zum Thema gearbeitet. The Porn Identity ist die Weiterentwicklung dieser Ausstellung.

Dorit Margreiter, Angelo View Drive (Prequel) 2004

Die queer kalifornische KünstlerInnengruppe Toxic Titties performt zum Beispiel durch Dorit Margreiters Video “10104 Angelo View Drive” und transformiert die “Sheats/Goldstein Residence” in Beverley Hills, die mit ihrer exzentrischen Eleganz gern als Filmkulisse für Hollywoodfilme (z.B. The Big Lebowski) dient, in eine “feministisch militante Widerstandszelle” und feiert sexuelle Eskapaden und glamoröse Parties. Die gleiche Villa ist Handlungsort des Edel-Pornos “Possessions” von Andrew Blake, der wiederum Teil der Installation “In Front of the Green Door” von Johannes Wohnseifer wird.

“The Bronze Pinball Machine with Woman Affixed Also” von Ed und Nancy Kienholz ist eine skulpturale Verbindung von Playboy Flipper mit daraus herausragend gespreizten Frauenbeinen als Bronzeguss.

Lesbische Lolita

In ihrer Installation “Dolores” bezieht sich Katarina Daschners auf Vladimir Nabokovs Roman “Lolita” von 1955 bzw. auf Kubricks Verfilmung von 1962. Die Künstlerin liefert nicht nur die lesbische Version der literarischen Vorlage und deren Adaption für den Kunstraum, sondern eine komplexe multimediale Erzählung vom Erwachsenwerden und der Selbstbestimmung. Humbert Humbert, den pädophilen Erzähler im Roman, ersetzt sie im Video durch eine wesentlich ältere Künstlerin, der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf den unterschiedlichen Stationen der Identitätsbildung der Lolita-Figur.

Eine andere Tendenz im weiblichen Porno erzählt dann etwa vom weiblichen Imaginären, das sich von seiner passiven Opferrolle zu emanzipieren versucht. Lousa Achille dokumentiert in ihrem Film “The Naked Feminist” von 2003 mit den Interviews von (Post-)Porn-Ikonen wie Annie Sprinkle und Marilyn Chambers, wie sich Übereinstimmung und Widerspruch in den Produktionen einer Bildermaschinerie verschränken, die lange nur als industrialisierte Männerphantasie galt.

Louisa Achille, still aus: The Naked Feminist, 2003

Erwischt!

Der dreckige Porno beschmutzt also die saubere Umgebung des Museums, wird künstlerisch kommentiert und öffentlich verhandelt. Die Behauptung, dass der dokumentarische Zugang von Pornografie etwas von der Realität des Körpers erzählen könnte, sprengt “The Porn Identity” und beweist statt dessen den hoch-fiktionalen Charakter von Pornografie. Vor allem aber zeigt die Ausstellung, dass wir uns von einer Begrifflichkeit “Pornografie”, wie wir sie als kulturelle Vokabel des heterosexuellen Mainstreams kennen, verabschieden werden müssen. Porno ist zu einem dermaßen komplexen Feld angewachsen, dass es diese eine Pornografie schlicht nicht mehr gibt.

Die absurde Parallele der Heimlichkeit des Sehens bei gleichzeitiger Veröffentlichung des Pornos wird es aber wohl noch länger geben, denn den Ausstellungskatalog werden sich wahrscheinlich die wenigsten BesucherInnen öffentlich durch die U-Bahn tragen trauen.

“The Porn Identity” in der Kunsthalle Wien ist bis zum 1. Juni 2009 geöffnet.

Ein Ausstellungsrundgang mit Kurator Florian Waldvogel

(Dauer: 3:58 Min.)

Dieser Artikel ist am 12. Februar 2009 auf fm4.orf.at erschienen, der Rundgang wurde in FM4 Connected gesendet.


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